12.06.2019

Interview mit dem Pomologen und Bio-Obstbauern Dr. Sebastian Grünwald über verschärfte Schutzmaßnahmen für Insekten, den Gesetzesentwurf der Staatsregierung und wütende Obstbauern

Unter Obstbauern wächst die Furcht, dass sie ihre Streuobstwiesen nicht mehr bewirtschaften können, sollte das Volksbegehren Artenvielfalt umgesetzt werden. Der Landesbund für Vogelschutz hat Strafanzeige gestellt, weil einige Bauern ihre Bestände deshalb bereits gefällt haben sollen. Dr. Sebastian Grünwald bewirtschaftet mit seiner Frau den Grassl-Hof im Landkreis Freising, mit rund 350 Bäumen eine der größten zusammenhängenden Streuobstflächen in Südbayern. Der Diplom-Biologe und Pomologe berät die Natursaftkelterei Wolfra in Sachen eines möglichst naturnahen Apfelbaus.

Herr Dr. Grünwald, verstehen Sie Bauern, die aus Protest gegen neue gesetzliche Insektenschutzmaßnahmen ihre Streuobstbäume fällen?

Das ist eine vollkommen überzogene Reaktion und ein Frevel an der Natur. Aber die aktuelle Diskussion um mehr Insektenschutz in der Folge des Volksbegehrens erhitzt bei vielen Bauern die Gemüter, auch bei uns in der Familie.

Wie sehen Sie das Volksbegehren?

Eindeutig positiv, wir haben damit zum ersten Mal eine riesige Aufmerksamkeit für das Thema erreicht. Die Forderung nach mehr Öko-Landwirtschaft kann ich nur unterstützen. Und auch die Ergänzungen im Naturschutzgesetz, die derzeit diskutiert werden, lesen sich alles in allem als sinnvoll. Es ist unbestritten, dass wir da als Gesellschaft viel mehr tun müssen. Wir hängen ja nicht nur im Obstbau von Hummeln, Wildbienen und vielen anderen Insekten ab.

Obstbäume jetzt zu roden ist eine Panik- und vielleicht auch Trotzreaktion.“

Was treibt die Landwirte dann zu solchen Reaktionen?

Ich glaube, das ist eine Panik- und vielleicht auch Trotzreaktion. Im Nachhinein werden sich viele vermutlich über sich selbst ärgern und den Verlust ihrer Bäume bedauern. Dass der Landesbund für Vogelschutz allerdings derart unsensibel reagiert und Strafanzeigen stellt, ist leider auch wenig geeignet, um die Befürchtungen der Bauern zu zerstreuen und wird zu einer weiteren Verhärtung der Fronten zwischen Landwirten und Umweltschützern führen. Wir dürfen nicht übersehen, dass die sicher irrationalen Proteste einen sehr realen Hintergrund haben: denn ein verschärfter Schutz wird zu Einschränkungen bei der Bewirtschaftung der Flächen führen. Tatsächlich aber ist der Gesetzesentwurf über die Köpfe der Bauern hinweg entstanden, deren Lebensgrundlage er aber betrifft. Sicher: die Regierung war nach dem Volksbegehren unter Druck, mehr oder weniger strenge Maßnahmen zu liefern. Wir selbst verstehen uns durchaus als Umweltschützer, immerhin ist unser Betrieb seit Bestehen bio-zertifiziert. Die Naturschutzverbände leisten eine zentrale Arbeit, viele Umweltschützer haben aber wenig Einsicht in die Praxis der Landwirtschaft. Viele ihrer Forderungen gerade im Streuobstbau sind nicht geeignet, um eine nachhaltige Bewirtschaftung der Flächen sicherzustellen. Am Ende sind es aber die Bauern, die die Maßnahmen umsetzen müssen.

„Wir befürchten, dass zu weit gehende Auflagen eine Bewirtschaftung der Wiesen unmöglich machen.“

Wogegen haben die Bauern konkret Bedenken?

Die Landwirte – und auch ich – befürchten, dass allzu weit gehende Auflagen die Bewirtschaftung der Streuobstbäume erschweren oder gar unmöglich machen werden. Dass sie daher nichts mehr zum Betriebseinkommen beitragen werden, obschon sie weiter gepflegt werden müssen. Immer mehr entsteht bei den Streuobstbauern der Eindruck, ihre Flächen sollen quasi unter „Denkmalschutz“ gestellt werden. Das gilt übrigens auch für andere Sparten der Landwirtschaft, etwa bei den Betrieben mit „artenreichem Grünland“. Das hat zu großer Verunsicherung geführt, und so sind auch Horror-Szenarien entstanden.

Was ist daran Horror, Streuobstwiesen stärker zu schützen?

Das ist nicht das Problem, aber Streuobstwiesen müssen rentable Wirtschaftsflächen bleiben, damit sie konsequent und fachgerecht gepflegt werden. Werden sie nun zu Extensiv-Flächen umdefiniert, besteht die Gefahr, dass sie sich selbst überlassen bleiben. Ungepflegte Streuobstflächen würden aber in absehbarer Zeit zusammenbrechen und damit wegfallen. Dagegen werden auch Vorschriften nichts ausrichten. Ein Beispiel: Der von den Vogelschützern geforderte späte Schnitt der Wiese nach dem 15. Juni zum Schutz der Wiesenbrüter führt zu einer enormen Konkurrenz für die Bäume um Wasser und Nährstoffe. Das Baumwachstum kommt auf solchen Flächen meist bald zum Erliegen, die Erträge und die Qualität der Früchte nehmen ab. Jungbäume entwickeln sich unter diesen Bedingungen kaum. Der hohe Wuchs fördert außerdem die Ausbreitung von Feld- und Wühlmäusen. Obstbäume und eine hohe Wiese vertragen sich daher nicht. Will man eine Obstwiese wirtschaftlich betreiben, so muss man den Bäumen einfach Priorität einräumen. Man sollte daher nicht zu viele Forderungen an das Streuobst stellen, sondern anerkennen, dass die Bäume auch bei einer ertrags-orientierten Bewirtschaftung einen hochwertigen Lebensraum für Baumbrüter und Insekten darstellen. Für Wiesenbrüter wird es eigenständige Flächen außerhalb der Obstbestände brauchen.

„Streuobstwiesen zählen auf einem Hof sicher nicht zu den Ertragsbringern.“

Wenn Sie von Wirtschaftlichkeit sprechen, geht also letztendlich ums Geld?

Ein Bauernhof ist ein Wirtschaftsbetrieb, und Streuobstwiesen zählen derzeit sicher nicht zu den Ertragsbringern auf einem Hof. Schon in den letzten Jahrzehnten haben deshalb viele Bauern ihre Streuobstwiesen aufgegeben und Platz gemacht für Ackerflächen oder Biogas- und Photovoltaikflächen. Die Landwirte, die heute noch nennenswerte Streuobstflächen besitzen, haben oft seit Jahrzehnten dem wirtschaftlichen Druck widerstanden, ihre Bäume zu roden. Diese Leute sind Umweltschützer und leisten auch bisher – übrigens ganz ohne gesetzliche Vorschriften – einen unschätzbaren Dienst für die Natur und die Gesellschaft, der seit Jahren kaum honoriert wird. Ausgerechnet sie sind jetzt ins Visier geraten und sollen richten, was eine verfehlte Agrarpolitik und eine allzu am Preis orientierte Gesellschaft angerichtet haben.

Was meinen Sie damit?

Die Landwirtschaft in Deutschland und vielen anderen Regionen der Welt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einer profit- und leistungsorientierten Industrie entwickelt. Durch die niedrigen Erzeugerpreise stehen die Landwirte unter Druck, immer größere Betriebe zu bewirtschaften. Die geforderten Flächenerträge und Qualitäten können heute nur noch durch breiten Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln erzielt werden. Das Ergebnis sind ausgeräumte Landschaften, gewaltige Monokulturen, Artensterben und Nitrat im Grundwasser. Es wird zunehmend offenkundig, dass bei den äußerst günstigen Lebensmittelpreisen besonders in Deutschland die Folgen für die Umwelt nicht einkalkuliert waren.

„Wir brauchen mehr Wertschätzung für eine gute und verantwortungsvolle Landwirtschaft. Auch im Preis.“

Wo würden Sie ansetzen?

An zwei Stellen: zum einen an der öffentlichen Meinung und Wertschätzung für eine gute und verantwortungsvolle Landwirtschaft. Bauern sind weder blind, noch ignorant, noch böse. Sie spritzen chemische Mittel nicht aus Freude und sie würden sich diesen Aufwand liebend gerne sparen. Fakt aber ist: der Markt, und das sind wir Verbraucher, sorgen nicht für eine kostendeckende Landwirtschaft. Deshalb müssen die Politik, die Lebensmittelindustrie, der Handel und jeder einzelne Verbraucher erkennen, dass es Umweltschutz nicht zum Nulltarif gibt, dass man die heimische Landschaft nur erhalten kann, indem man den hiesigen Obstbauern, Imkern usw. einen stabilen und fairen Preis für ihre Produkte und ihre Arbeit bietet. Hier ist mit dem Volksbegehren sehr viel erreicht worden. Die Menschen müssen das mit ihrem Kaufverhalten freilich auch nachvollziehen. Eine Unterschrift zu leisten und die Bauern damit noch weitere Auflagen zu machen wird nicht ausreichen. Um das Ökosystem zu erhalten, muss jeder einzelne Verantwortung übernehmen und sein Verhalten ändern.

Zum anderen dürfen wir Streuobstwiesen nicht quasi unter Denkmalschutz stellen. Gerade durch die Bewirtschaftbarkeit der Wiesen schützen wir ihren Erhalt und damit ihre Funktion als wertvolles Biotop. Für die Natur ist viel mehr gewonnen, wenn wir einen leistungsfähigen Baumbestand rational bewirtschaften können, als wenn wir die Flächen zu extensiven Totholzflächen erklären.

Mehr Informationen zu den Protesten von Obstbauern im Artikel der Süddeutschen Zeitung

Mehr über die Arbeit von Dr. Sebastian Grünwald

Interview: Gerd Henghuber Kommunikation