Alle reden von Corona, dabei steht der Frühling vor der Tür. Die Obstbäume sind auch heuer wieder viel zu früh dran. Das setzt sie einer erheblichen Gefahr aus. Der Pomologe Dr. Sebastian Grünwald klärt auf.

Was passiert gerade auf unserer Streuobstwiese, Herr Dr. Grünwald?

Ganz viel parallel, wir hatten einen extrem milden Winter, und die Vegetation ist rund vier Wochen voraus. Die Blüten der Birnen und der frühen Apfelsorten brauchen nur noch wenige warme Tage bis zum Aufblühen. Die Bäume mobilisieren bereits ihre Reserven und explodieren förmlich – gemessen am Kalender allerdings viel zu früh.

Das heißt höchste Zeit für den letzten Winterschnitt?

Ja, aber nicht mehr warten. Bei einem normalen Jahresverlauf hätten wir gut bis Ende März Zeit. Wenn der Baum bereits sichtbar austreibt, sollte man ihn nicht mehr schneiden. Sonst schwächt man den Austrieb.

Allerhöchste Zeit für den Winterschnitt

Wann erwarten Sie die Apfelbaumblüte

Nach jetzigem Stand bereits Mitte April, spätestens Ende April.

Ist das für den Baum nicht gefährlich, wenn er jetzt schon auszutreiben anfängt?

Ja sicher, bis Mitte Mai ist jederzeit Nachtfrost möglich. Die Bäume sind in dieser Zeit sehr empfindlich. Blüten ertragen keine Minusgrade und sterben ab. Auch bei jungen Früchten genügen ein paar Stunden leichter Frost, damit die Samenanlagen im Inneren absterben. Wir wundern uns manchmal, wenn Obstbäume nach der Blüte viele kleine Früchte abwerfen. Das sind oft die Frostschäden. Die Frucht entwickelt sich nur bis etwa Haselnussgröße, wenn keine lebenden Samen mehr in Inneren sind. Der Baum erkennt anhand eines Hormonsignals, dass diese Frucht keinen Wert mehr für ihn hat, und er wirft sie ab.

Wieso bilden Obstbäume überhaupt Früchte aus?

Der Sinn der Frucht ist Belohnung: Belohnung für den, der sie wegträgt, und damit zur Verbreitung des Baums beiträgt. Deshalb schmeckt die Frucht Vögeln und Säugetieren. Sie schleppen die Frucht weg und sorgen dadurch für die Fortpflanzung an anderer Stelle.

Rechnung der Natur geht auch mit dem Menschen auf

Nur der Mensch macht dem einen Strich durch die Rechnung, oder?

Nein, gar nicht, auch der Mensch ist ein Ausbreiter. Wenn Sie mal schauen, was entlang von Straßen, auch Autobahnen keimt und wächst: Da ist viel Apfel dabei. Die Rechnung der Natur geht auch mit dem modernen Menschen auf.

Muss man Obstgärten jetzt eigentlich düngen?

Da sprechen Sie ein schwieriges Thema an. Viele Streuobstwiesen werden seit Jahrzehnten nur noch sehr extensiv bewirtschaftet. Kein Wunder, denn sie bringen dem Landwirt kaum etwas ein. Ein Landwirt aber muss ökonomisch arbeiten. Folglich investiert er nur das Nötigste und schlimmstenfalls wird die Wiese mehr oder weniger sich selbst überlassen.

Was ist daran schlecht?

Zumindest durch die Heuernte, aber auch durch die Früchte selbst werden den Böden Jahr für Jahr Nährstoffe entzogen und nicht wieder hinzugefügt. Das führt über kurz oder lang zu ausgelaugten Böden und sinkendem sowie qualitativ schlechterem Ertrag. Auch auf der Streuobstwiese muss man die Nährstoffe, die man entzieht, wieder zuführen.

Mit was?

Am besten mit Mist, Gülle oder Kompost aus dem eigenen landwirtschaftlichen Betrieb. Viele Streuobstwiesenbesitzer halten aber heute keine eigenen Tiere mehr.

Womit also dann?

Kunstdünger ist eine Option für alle, die nicht bio-zertifiziert sind. Die Bio-Höfe denken oft, sie dürften gar nichts zugeben, aber das stimmt nicht. Es gibt im Landhandel mittlerweile viele Produkte, mit denen sich die Böden ertüchtigen lassen. Bio-konform. Wichtig ist, dass man zielgerichtet düngt und nur Nährstoffe ausbringt, die dem Boden fehlen. Das schont den Geldbeutel und die Umwelt. Am besten verschafft man sich erst einen Überblick mit Hilfe einer Bodenprobe.

Interview: Gerd Henghuber Kommunikation