07.04.2019

Interview mit dem Pomologen Sebastian Grünwald darüber, wie er die Streuobstwiese in Bad Birnbach wieder auf Vordermann bringen will und was ihn so sehr an Apfelbäumen fasziniert.

Sebastian Grünwald bewirtschaftet mit seiner Frau den Grassl-Hof im Landkreis Freising. Mit rund 300 Bäumen eine der größten zusammenhängenden Streuobstflächen in Südbayern. Der Diplom-Biologe und Pomologe berät die Natursaftkelterei Wolfra und den Kurort Bad Birnbach bei ihrer jüngsten Kooperation zum Streuobstwiesenschutz. Erstes gemeinsames Projekt ist eine in den letzten Jahren etwas in Vergessenheit geratene Streuobstwiese im Kurbereich des Ortes.

Herr Grünwald, Sie waren Mitte März vor Ort auf der Wiese in Bad Birnbach, in welchem Zustand haben Sie sie vorgefunden?

Unterschiedlich. Ein Teil der Bäume ist trotz der schwierigen Bedingungen in den letzten Jahren in einem guten Zustand, und hat schöne Kronen gebildet. Andere Bäume hinken deutlich hinterher, und manche zeigen bereits Anzeichen vorzeitiger Vergreisung. Aufgrund des Alters dieser Bäume ist nicht zu erwarten, dass sie sich noch zufriedenstellend entwickeln werden. Dazu kommen rund ein Dutzend Bäume mit sichtbaren Stamm- und Wurzelschäden. Die Schäden sind zum Teil so erheblich, dass diese Bäume in einigen Jahren mit ziemlicher Sicherheit eingehen werden. Der Zustand der Wiese ist insgesamt aber auch nicht ungewöhnlich. Nach über 20 Jahren sind einzelne Baumausfälle durchaus die Regel. An jedem Standort gibt es Bäume, die besonders gut zurechtkommen, und andere, denen der Ort weniger zusagt.

Woran liegt das?

Unsere Obstbäume sind das Ergebnis einer jahrtausendlangen Auslese auf Fruchtgröße- und Qualität. Die heutigen Obstsorten sind daher mehr oder weniger anspruchsvolle Kulturpflanzen. Äpfel und Birnen verlangen einen durchlässigen Boden mit möglichst gleichmäßiger Wasserführung. Durch die umfangreiche Bautätigkeit in der Umgebung ist der Untergrund der Streuobstwiese sicherlich in Mitleidenschaft gezogen worden. In den ersten Jahren hatten die Bäume daher teils mit Bodenverdichtungen, teils mit fehlendem Anschluss an das Grundwasser zu kämpfen. Das müsste sich aber inzwischen wieder normalisiert haben. Aktuell sehe ich vor allem Nährstoffknappheit, Konkurrenz durch andere Pflanzen und in Einzelfällen Wühlmausfraß als Probleme. Obstbäume brauchen eine auf Ihre Bedürfnisse zugeschnittene Pflege, besonders an einem nicht ganz optimalen Standort.

„Wir wollen diese Wiese wieder auf Vordermann bringen und das Biotop in der Ortsmitte erhalten.“

Das wollen Sie nun ändern?

Nicht nur ich. Unser Ziel ist, die Obstwiese im Zentrum des Kurortes in einen optimalen Zustand zu bringen und entstandene Lücken wieder zu schließen. Die Wiese soll mit charakterlich interessanten Obstsorten erweitert und zu einem rundum blühenden Garten ausgebaut werden. Interessierte Besucher können die Vielfalt der alten Obstsorten im Rahmen pomologischer Wanderungen kennenlernen. Wir möchten auf diese Weise auch den ländlichen Charakter von Bad Birnbach erhalten und unterstreichen.

Sie meinen aber, dass trotzdem nicht alle Bäume überleben werden?

Leider nein. Wir werden nicht umhinkommen, die schadhaften und die zu schwachen Bäume zu roden und im Frühjahr 2020 durch neue Obstbäume zu ersetzen. Ich bin schon dabei, eine Liste mit geeigneten Sorten zu erstellen für die Neupflanzung. Wir müssen uns außerdem einige benachbarte Flächen ansehen. So stehen entlang des Weges südlich vom Hotel „Am Sonnenhügel“ einige Walnussbäumen, die sehr groß werden. Obstbäume können aber im Umfeld großer Bäume kaum konkurrieren. Es ist daher ratsam, die Walnussbäume zu entfernen und durch weitere Obstbäume zu ersetzen. Ähnliches gilt für den Weg unterhalb des Hotels Sonnengut. In dem Gehölzstreifen dort finden sich einige hochwachsende Bäume: Hainbuchen, Ahorn und Linden. Die nördlich davon gelegenen Obstbäume werden so zunehmend beschattet. Es ist also zu erwägen, die noch jungen Bäume in dem Streifen zu entfernen und diesen zu einer blühenden Hecke umzubauen. Eine Chance sehe ich darin, dass in den Gärten der angrenzenden Hotels bereits vereinzelt Obstbäume stehen. Diese könnte man konzeptionell in unsere Streuobstwiese mit einbeziehen und den Eigentümern die Pflanzung weiterer Obstbäume auf ihrem Grund vorschlagen. Ziel sollte eine möglichst vielfältige und attraktive Zusammenstellung vor allem mit typischen historischen Streuobstsorten sein.

„Im Supermarkt finden Sie heute ja immer nur die gleichen Apfelsorten.“

Warum setzen Sie auf historische Sorten?

Zum einen, weil es darum geht, die Vielfalt der Sorten zu bewahren. Im Supermarkt finden Sie heute ja nur mehr eine überschaubare Auswahl süßer Plantagensorten, die auf eine Handvoll Stammsorten zurückgeht. Bei der Zucht dieser Sorten sind viele interessante Aromen, aber auch andere wertvolle Eigenschaften, wie Wuchskraft und Widerstandsfähigkeit gegen Schadeinflüsse verloren gegangen. Unter den alten Sorten finden Sie dagegen solche, die genau an die jeweilige Landschaft angepasst sind und die auf einer Wiese ohne Pflanzenschutz gedeihen. Der Mutterbaum des Setzlings, den wir als erstes pflanzen werden beim gemeinsamen Spatenstich, wurde um 1850 in einem Garten bei Stuttgart entdeckt und 1865 nach dem Pomologen J.G.C. Oderdieck benannt. Als typische Streuobstsorte kommt die Oberdiecks Renette auch mit schwierigen Bedingungen zurecht und liefert regelmäßig gute Erträge. Wegen ihrer äußerlich unscheinbaren grün-gelben Früchte ist sie allerdings kaum noch bekannt. Dabei hat die Sorte herausragende Qualitäten: ihre Früchte sind kräftig süß, haben ein sortentypisches, leicht an Quitten erinnerndes Aroma und eignen sich gleichermaßen als Tafel- und Kelterfrucht.

Werden Sie in Bad Birnbach nur Apfelbäume oder auch anderes Obst pflanzen?

Nicht nur, aber wir haben festgestellt, dass unter den vergreisten Bäumen auffallend viele Birnbäume sind. Das wundert mich auch nicht, denn in Bayern werden die höheren Ansprüche großfruchtiger Tafelbirnen nur an besonders günstigen Standorten erfüllt. Der schwere Lehmboden in Niederbayern sagt am ehesten noch den Mostbirnen zu. Es ist daher ratsam, bei der Neupflanzung nur besonders starkwüchsige Birnen zu verwenden, oder die Birnen durch weniger anspruchsvolle Äpfel zu ersetzen.

„Es ist sehr viel Knowhow und Erfahrung nötig, eine Streuobstwiese fachgerecht zu entwickeln.“

Das hört sich nach ziemlich viel Wissenschaft an?

Nicht unbedingt Wissenschaft, aber es ist wirklich sehr viel Knowhow und Erfahrung nötig, eine Streuobstwiese fachgerecht zu entwickeln. Obstbäume sind anspruchsvoll in der Pflege. Die vielen unterschiedlichen Sorten, haben jeweils ganz eigene Stärken und Schwächen und jeder Baum zeigt seinen typischen Charakter. Auch der Boden und das Klima eines Standortes haben großen Einfluss auf das Gedeihen einer Sorte. Alles kommt dann in der Frucht und ihrem Geschmack zum Ausdruck.

Sie sprechen fast schon wie ein Winzer.

Da gibt es durchaus viele Gemeinsamkeiten. Obstbauern und Weinbauern sprechen eine ähnliche Sprache. Als Obstbauer bin ich auch das ganze Jahr über mit meinen Pflanzen beschäftigt, damit am Ende eine möglichst gute Fruchtqualität herauskommt. Der Unterschied zum Wein ist nur, dass wir vor der Vergärung abfüllen – und dass der Aufwand, den wir beim Anbau von Äpfeln betreiben, in der Öffentlichkeit noch nicht so wahrgenommen wird wie beim Wein.

„Allein in Bayern gibt es mehrere hundert verschiedene Apfelsorten, mit einer Fülle an Formen, Farben und Aromen.“

Was fasziniert sie so sehr an der Streuobstwiese?

Die Vielfalt! Wir haben bei uns auf dem Hof viele alte Obstsorten, darunter auch Hochstämme, die mehrere Generationen zurück gepflanzt wurden. Allein in Bayern gibt es mehrere hundert verschiedene Apfelsorten, mit einer Fülle an Formen, Farben und Aromen. viele davon sind alt und fast vergessen. Sie wieder zu entdecken im Anbau, in der Pflege und im Geschmack, das finde ich sehr faszinierend. Ein alter Hochstamm ist außerdem etwas ganz anderes als die kurzlebigen Plantagen, die den Obstbau heute dominieren. Große Bäume auf Hochstämmen gelten heute als unwirtschaftlich. Wenn sie sich die Landschaft ansehen am Bodensee oder in Südtirol, wo viele unserer Äpfel herkommen, sehen Sie praktisch nur noch Plantagen mit schlanken, niedrigstämmigen Bäumen. Die meisten alten Sorten sind für diese intensive Anbauweise aber nicht geeignet und wurden daher durch wenige moderne Sorten verdrängt. Die Hochstämme hingegen liefern aber große Mengen geschmacklich interessanter und hochwertiger Äpfel für die Verarbeitung.

So eine Streuobstwiese dürfte viel Aufwand machen.

Ja, das kann man sagen. Unsere Apfelbäume beschäftigen mich fast das ganze Jahr hindurch. Zu jeder Zeit des Jahres fallen Pflegearbeiten an, die für die Bäume lebensnotwendig sind. Auch Hochstämme müssen regelmäßig geschnitten werden, sie brauchen düngen, der Unterwuchs muss gepflegt werden, damit sich keine Schädlinge wie Feld- und Wühlmäuse einnisten können, um nur einige Arbeiten zu nennen.

Unser Ziel ist gemeinsam mit den Obstbauern, den „Streuobstanbau in Bayern zu erhalten und zu entwickeln.“

Wer erledigt diese Arbeiten in Bad Birnbach, dort ist ja nicht immer ein Pomologe zur Hand?

Den braucht man auch nicht ständig. Die laufende Pflege der Streuobstwiese, das Mähen, Mulchen, die Unterwuchspflege, Düngung, Schädlingsbekämpfung, wird dankenswerterweise der Zweckverband des Landkreises Rottal Inn übernehmen. Wir werden dafür einen Pflegeplan ausarbeiten, der auf die Bedürfnisse der dortigen Bäume zugeschnitten ist. Den Erziehungsschnitt und weitere Arbeiten unmittelbar an den neu gepflanzten Bäumen übernehme ich selbst und komme dazu sehr gern regelmäßig ins Rottal.

Was genau machen Sie als Berater für die Kelterei Wolfra?

Wir unterstützen Wolfra mit unserem Knowhow rund um den biologischen Obstbau. Unser Ziel ist gemeinsam mit den Obstbauern, den Streuobstanbau in Bayern zu erhalten und zu entwickeln.

 

Interview: Gerd Henghuber Kommunikation
www.henghuber.de